Florian Lutz, Regisseur

Médée

von Luigi Cherubini

Kontakt
Biografie

2014
Tannhäuser
Theater Lübeck
Liebeswahn
Händelfestspiele Halle
Médée
Theater Bielefeld

2013
Nocturno
Theater Bonn, Bundeskunsthalle
Die Dummheit
Theater Regensburg

2012
Norma
Theater Bonn
NaturNotizen
Frankfurt LAB

2011
Così fan tutte
Anhaltisches Theater Dessau
Hoffmanns Erzählungen
HAU1 Berlin

2010
Carmen
Theater Bonn
playZero
Festspielhaus St. Pölten
Lucia di Lammermoor
Staatstheater Braunschweig

2009
Die arabische Nacht
Oper Halle
Des Landes verwiesen
Theater Bonn
Helges Leben
Theater Bielefeld

2008
Lohengrin
Bühnen der Stadt Gera

2007
Strangers
HAU 1 Berlin

2006
Orfeo ed Euridice
Bühnen der Stadt Gera

2005
Gelegenheit macht Diebe
Saalbau Neukölln Berlin
Die gelbe Prinzessin
Neuköllner Oper Berlin

2003
Die kahle Sängerin
Theaterhaus Köln

Premiere am 4. Mai 2014 am Theater Bielefeld
Musikalische Leitung: Elisa Gogou
Bühnenbild: Christoph Ernst, Video: Konrad Kästner
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Opernwelt 6/2014, Regine Müller
„Der Kindermord durch die eigene Mutter findet heutzutage überwiegend in prekärem Milieu statt, denn als Ursachen für die Kindesmisshandlung mit Todesfolge werden zumeist Verwahrlosung und Überforderung ausgemacht. Und kaum mehr jene rasende Rache aus Eifersucht, von der der antike Medea-Mythos erzählt. Der noch dazu in der Upper Class spielt, ist doch Medea eine Königstocher. Auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Klasse knirscht eben die Übersetzung ins Heute, denn die ungeliebten Kinder der Schönen und Reichen pflegen sich im 21. Jahrhundert vorzugsweise selbst mittels Drogen aus dem Leben zu schießen. Wie also soll man heute diese fern gerückte Geschichte der Medea erzählen? Florian Lutz holt in Bielefeld Luigi Cherubinis Tragédie lyrique in drei Akten  Medée in eine zwischen den 1980er und der Gegenwart oszillierende Jetztzeit und verpflanzt den Konflikt in den Kernbereich der Gesellschaft: Die konsumfreudige Mittelschicht. Und denkt darüber nach, wie wir es heute eigentlich mit unseren Kindern halten. So hantiert gleich zu Beginn der Damenchor mit Puppen-Kindern, die emsig mit Musikinstrumenten und anderem pädagogischen Gerät zu erfolgreichen Aufsteigern zugerichtet werden. Die Hochzeitsgesellschaft von Jason und Dircé posiert vor einem schmucken Eigenheim, die Herren ertüchtigen sich mit Boxkämpfen, das goldene Vlies ist ein Cabrio, das eifrig poliert wird.

In Bielefeld wird die rekonstruierte Originalfassung mit französisch gesprochenen, neu getexteten Dialogen gesprochen, die Regisseur Florian Lutz um von Médées Söhnen auf deutsch gesprochene Kommentare ergänzt, die via Video-Einblenden eine weitere kritische Brechung liefern: Denn die altklug dozierenden Youngster in Kapuzenpullis dozieren mit Adorno, Engels und Feuerbach über Kindererziehung als Zurichtung zur Effizienz in der kapitalistischen Gesellschaft. Das klingt nach ödem Belehrungstheater, entwickelt aber überaus treffsicheren Witz.

Médée ist eine Ausgegrenzte, die zwar gegen den Mittelklasse-Mief aufbegehrt, der drohenden Vereinsamung als alleinerziehende Latte-Macchiato-Mutter zunächst aber auch bloß ein albernes Selbstverwirklichungs-Programm mit Gartenpflege und Töpferkurs entgegen zu setzen vermag. Als jedoch auch der letzte Versöhnungsversuch scheitert, schlüpft Médée aus dem Blümchenkleid in eine pinke Paillettenhaut und packt scharfe Waffen aus. Damit aber meuchelt sie nicht ihre mit kritischer Theorie gestählten Söhne, sondern macht sie zu Terroristen-Komplizen: Am Ende brennen Eigenheim und Cabrio.

Florian Lutz dekliniert seinen kühnen Deutungsansatz konsequent durch und findet eindrückliche, mit klugen Details angereicherte Bilder für die heutige Spielart der mehr oder weniger brutalen Instrumentalisierung des Nachwuchses. Die Verlagerung in die von banalen Wünschen gesteuerte Mittelschicht kostet nur auf den ersten Blick Fallhöhe, denn der Kern des Dramas bleibt  auch Dank Lutz ausgefeilter Personenführung  überraschend schlüssig. Zumal Cherubinis Partitur trotz ihrer düster dramatischen Grundstimmung häufig im Formelhaften stecken bleibt und der Ausnüchterung der Regie nicht einmal widerspricht. Kapellmeisterin Elisa Gogou sorgt im Graben für flüssigen Drive, der spielfreudige Chor ist bestens präpariert. Die mörderische Titelpartie ist mir Annemarie Kremer exemplarisch besetzt, ihr raumgreifender, niemals scharfer Sopran verfügt über eine dramatisch klingende, doch nicht brustig forcierte Tiefe, die selbst über volles Orchester trägt. Paul O Neill ist ein lyrischer, beweglicher Jason, Evgueniy Alexiev ein imposant gebrochener Créon und Christiane Linke gibt der traurigen Dircé viel darstellerische Präsenz, wobei ihr heller Sopran zum Flirren neigt. Insgesamt ein intelligenter, erhellender Abend."